Lernumgebung und Schulkultur

Das Konzept „Schulkultur“ bildet die Basis einer eigenen Schulidentität, und die wiederum ist Voraussetzung für ein gesundes und sicheres Lernumfeld.
Vorbemerkung:
Im folgenden Artikel geht es um ein Konzept, das ein Gegengewicht darstellt zu einseitiger Konzentration auf Normierung und Evaluation eines Teilbereiches akademischen Wissens, wie es z.B. in „Bildungsstandards“ geschieht. Das Konzept „Schulkultur“ umfasst die Elemente Freiheit und Rückhalt gleichermaßen, indem es das Entstehen einer eigenen Kultur fordert, die entsprechend des Umfeldes und der Akteure eine bestimmte Form annimmt, derem Gesetzmäßigkeit klar darstellbar ist, daher Stabilität gibt, dennoch lebendig bleibt und sich weiter entwickelt.

von Per Kristensen, Dänemark

Innovative Schule, in der das gesamte Lernumfeld die Kreativität, Initiative, Beziehungsfähigkeit und Persönlichkeit des Kindes fördert, ist ein starkes Element der dänischen Schultradition, und zwar sowohl in freien als auch in öffentlichen Schulen.

Um eine eigene Schulkultur zu entwickeln, muss das Hauptaugenmerk auf das Erziehungsumfeld der jungen Leute gelenkt werden – dadurch verlagert sich die Kernaufgabe der Schule von der Erzeugung akademischen Wissens und akademischer Fertigkeiten auf ein weitaus umfassenderes Gebiet.

„Bei der Entwicklung der Lernumgebung verlagert sich der Fokus der Schule von der Erzeugung akademischen Wissens und akademischer Fertigkeiten auf ein weitaus umfassenderes Gebiet.“
Per Kristensen

Im Rahmen dieses erweiterten Konzeptes ist die Schule sorgfältig bestrebt, ein Umfeld zu schaffen, in dem jedes einzelne Kind und jeder einzelne Schüler sicher ist; das heißt dass er sich sicher fühlt, und im umfassenden Sinne geschützt ist; es bedeutet, dass er in einer Umgebung lebt, welche ihm die besten Wachstumsbedingungen bietet, entsprechend seinem individuellen, akademischen, persönlichen und sozialen Entwicklungsstand.

Woran kann man nun feststellen, ob eine Lernumgebung von hoher Qualität ist? Es ist einfach: Man sieht die Schulgebäude an, den Unterricht, das Spiel, die Klassenkameradschaft, den Führungsstil, die Lehrer, und verschiedene andere Faktoren.
Um eine qualitativ hochwertige Lernumgebung zu schaffen, muss man auch die Meinung und den Beitrag von Schülern und Studenten miteinbeziehen; ihre Wünsche und Standpunkte müssen mit einbezogen werden.

Es hat sich zur Qualitätssteigerung auch bewährt, die Lernumgebung in drei Bereiche aufzuteilen: 1.) die psychologische, 2.) die physische und 3.) die ästhetische Komponente, obwohl die Kinder natürlich ihre Welt nicht strikt nach diesen Dimensionen aufgeteilt erleben.

„Fragen Sie also die Kinder
was sie sehen und wollen,
hören Sie auf die Vielfalt
ihrer Ideen und Regungen,
beziehen Sie diesen Reichtum
an Wissen mit ein.“
Per Kristensen

Fragen Sie also die Kinder danach, was sie sehen und was sie wollen, hören Sie auf die Vielfalt ihrer Ideen und Regungen, und beziehen Sie diesen Reichtum an Wissen mit ein in den Prozess der Entwicklung eines guten Lernumfeldes.

Das Konzept “Schulkultur” ist eine interdisziplinäre Zusammenschau verschiedenster Faktoren, die auf unterschiedliche Weise miteinander interagieren – sie ist die Grundlage eines jedes erzieherischen Umfeldes: in einer Lerngruppe, in einer Klasse, und in der ganzen Schule als Modell der Gesellschaft.

Mein Wissen über Schulkultur, über ihr Entstehen, und darüber wie essentiell wichtig sie für die gesamte Aufgabe der Schulen und für ihre Qualität ist, basiert auf einer Vielzahl von Gesprächen mit Kindern, ihren Eltern und Lehrern. Es gründet sich auf viele “gute Geschichten”, Berichte aus einem Schulunterricht, in dem Kinder lernen, sich gut entwickeln und gedeihen.

„Schulkultur stützt sich
auf eine Reihe von Werten,
welche die Basis,
das Fundament einer
Schulidentität beschreiben.“
Per Kristensen

Eine “Schulkultur” muss sich auf eine Reihe von Werten stützen, welche die Basis, das Fundament einer Schulidentität beschreiben. Diese Kernwerte müssen derart definiert sein, dass sie aktiv von Eltern und Schulbelegschaft unterstützt und „gelebt“ werden – dies ist Voraussetzung dafür, dass sie wirken.

Die Kinder müssen in der Lage sein, diese Kernwerte zu verstehen.
Es ist daher mit Sicherheit eine gute Idee, den Prozess der Ausarbeitung und Formulierung dieser “Wertesammlung” zusätzlich auf die ganze Schule auszuweiten – auch auf Eltern und sämtliche Angestellte, die an ihr mitarbeiten sollen.

Solche Kernwerte, die man gemeinsam definiert, können Begriffe sein, wie:

Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit
Gegenseitiger Respekt
Verlässlichkeit, Verantwortlichkeit
Humor
Persönlicher Mut
Offenheit
Vertiefung (des Wissens, des Verständnisses)
Neugier

Wie immer diese Werte auch lauten, sie müssen einzeln ausgearbeitet und erklärt werden.

In einer lebendigen Schulkultur übersetzen und integrieren sich diese Werte automatisch in die Formen des kindlichen Spiels und des Zusammenlebens, sowohl im Kontakt mit Erwachsenen als auch mit Kindern. Diese Werte zeigen sich dann auch in der Interaktion der Kinder mit ihrer physikalischen Umwelt, auf dem Spielplatz, im Umgang mit den Materialien, etc…

Schulkultur in diesem Sinne kann verstanden werden als ein übergeordnetes und vereinheitlichendes Konzept. Es ist zu fordern, dass eine “gute Schulkultur” auf lokale Gegebenheiten Rücksicht nimmt, dass sie allgemein akzeptiert und gewollt wird.

„Es ist essentiell wichtig, dass sich die Erwachsenen als Rollenmodelle verstehen, die das Umfeld für die Schule der Kinder erschaffen.“
Per Kristensen

Die gute Schulkultur muss ihre prägende Spur im gesamten täglichen Schulleben hinterlassen.
Auch wenn eine Klasse das Schulgebäude verlässt, auf Reisen oder Exkursionen geht. Sie soll fühlbar sein, wenn neue Eltern und ihre Kinder das erste Mal eine Schule besuchen. Sie muss in die Schultraditionen integriert sein, in das Gebäude, in die Inneneinrichtung, den Raumschmuck, in die Konstruktion der Spielplätze, u.s.w. Sie muss auch in der Arbeitsumgebung aller Angestellten der Schule fühlbar sein.

Hier ein paar Beispiele von Bereichen, wo Schulkultur spürbar sein soll:

• Im Aufeinandertreffen der Erwachsenen untereinander

– in den Elterngesprächen, in den Gesprächen im Lehrerzimmer, im Gespräch zwischen Erzieher und Elternteil, im Dialog zwischen verschiedenen Angestellten, etc. Es ist essentiell wichtig, dass sich die Erwachsenen als Rollenmodelle verstehen, die das Umfeld für die Schule der Kinder erschaffen.

• Im Umgang der Erwachsenen mit den Kindern

– am Spielplatz, während des Unterrichts, in der Tagesbetreuung. Die Erwachsenen sind aufmerksam, sie nehmen teil oder intervenieren. SchülerInnen erleben die Erwachsenen als sichtbar und als Träger der schulischen Werte.

• In der Einstellung der Kinder zum Lernen

– in ihrem Verständnis davon was zu lernen ist, auf welche Weise Lehrer behilflich sein können, welch positiven Gewinn sie aus dem Kontakt mit Klassenkameraden ziehen können, aus der Verwendung bestimmter Materialien etc. ….

• In der Einstellung der Lehrer und Erzieher zum Lernen

– es darf hier keine Diskrepanz geben zwischen den Werten und Normen, die in einer Mathematikstunde angewendet werden und jenen in einer Musikstunde, – was natürlich nicht bedeutet, dass sich alle Erwachsenen allen Kindern gegenüber immer gleich verhalten müssen.

>• In den Umgangsformen der Kinder untereinander

– in Spielen und in verschiedenen Organisationsformen des Lernens.

• In der Schulleitung

– diese sieht eine entscheidende Rolle darin, den Austausch über die Werte und Ziele voranzutreiben, und diesen Austausch in der Schule als ganzes lebendig zu halten.

Dänemark ist das einzige europäoische Land mit einem eigenen Gesetz für die Lernumgebung von Kindern. Das Gesetz ordnet an, dass jede einzige Bildungseinrichtung oder Beaufsichtigungseinrichtung einen schriftlichen Bericht über die Lern- und Erziehungsumgebung verfasst, einschließlich eines Aktionsplanes, um die Erziehungsumgebung zu verbessern.

Dieses Gesetz ist in Kraft seit 2001, und es fordert, dass Kinder sowie Erwachsene das Recht auf eine gute Lernumgebung haben, und dies wiederum ermöglicht, dass Lernen hier in einer sicheren und gesunden Lernumgebung möglich ist. Das Gesetz sieht keine Strafen vor. Die ganze Idee dahinter ist, ein regionales Bewusstsein für die Schulumgebung zu erzeugen, und in diesem Bereich fortzuschreiten mit dem Mittel des Dialoges.“


Zu einem Bericht über das Dänische Schulsystem geht es
HIER: Bericht über das Dänische Schulsystem.


Der Autor:

Per Kristensen
ist Schulgründer und ehemaliger Direktor freier Schulen in Dänemark.
Seit 1985 ist er in Privatschulorganisationen aktiv.
Kristensen war Vorsitzender der dänischen Dachorganisation für Schulen in freier Trägerschaft von 1992 bis 2009.
Seit 2001 war er der Generalsekretär, später Treasurer von ECNAIS, (European Community of National Assotiations of Independent Schools.)
Von 2001 bis 2009 Vorstandsmitglied des dänischen Instituts für Erziehungswissenschaft (www.DCUM.dk).
Heute ist Per Kristensen ist der Vorsitzende des „Det internationalen Rad“, welches die Dänischen Dachorganisationen freier Schulen mit ECNAIS verbindet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.